Der indische Mindset Teil III: Inklusivismus»Unity in Diversity« ist einer der wichtigsten Grundsätze des modernen indischen Staates. Nur, wenn man die Einheit in der Vielfalt sieht, ist es möglich, Indien als einen Staat zu betrachten, der Menschen verschiedenster Herkunft und Glaubensbekenntnissen unter einer einzigen Flagge vereinen kann.Geschichtlich gesehen ist es nicht verwunderlich, dass gerade dieses Motto für den modernen indischen Staat gewählt wurde. Durch die gesamte Geistes- und Religionsgeschichte hindurch kann man die Tendenz beobachten, in der Vielfalt oder im Fremden die Einheit oder das Eigene zu erblicken. Der deutsche Indologe Paul Hacker hat diesem Phänomen einen Namen gegeben: Inklusivismus. Hacker benennt mit diesem Begriff die Angewohnheit der Inder, in fremden Philosophien und theologischen Lehren eigene Standpunkte zu identifizieren. Interessanterweise kann diese indische Eigenschaft deutsche Indologe und christliche Theologen zur Weißglut bringen. Ein polemischer Diskurs, der gerade hierzulande so beliebt wird, ist durch diese Subsummierung der fremden Ansichten in das eigene Lehrgebäude, natürlich nicht mehr möglich. Inklusivistisch wird diese indische eigene Gewohnheit deswegen bezeichnet, weil Hacker den Indern vorwirft, durch die Identifizierung des Eigenen im Fremden, das Fremde dem Eigenen unterzuordnen. Ein gutes Beispiel für den sogenannten Inklusivismus ist der Umgang mit der Person Jesu Christi. Das Christentum hat in einigen Regionen Indiens eine ältere Tradition als in Europa. In ganz Indien findet man darüber hinaus Herz Jesu Plakate, die Seite an Seite mit Shiva, Krishna, der Göttin Kali und einer Vielzahl von in ganz Indien verehrten Gurus hängen. Im indischen Kontext ist Jesus plötzlich nicht mehr das singuläre religiöse Phänomen, als dass er in der christlichen Welt betrachtet wird. Kein frommer Hindu wird Jesus seine Göttlichkeit absprechen wollen; auch würde ich einiges darauf verwetten, dass in Indien mehr Menschen an die von Jesus in der Bibel gewirkten Wunder glauben als im Westen. Allerdings werden nur die indischen Christen Jesus Christus als den eingeborenen Sohn Gottes anerkennen, der allein die Sünden der Menschen auf sich genommen hat und nur durch dessen Anbetung man am Tag des jüngsten Gerichtes bestehen kann. Inklusivismus bedeutet hier, dass Jesus plötzlich einer von vielen spirituellen meistern geworden ist. Es gibt unzählige überlieferte Schriften in Indien, die von Yogis berichten, die Tote wieder ins Leben zurückgeholt haben, übers Wasser gehen und die wie aus dem Nichts heraus Lebensmittel herbei holen können. Auch die Auferstehung von den Toten ist im Kontext der indischen Geistesgeschichte keine Seltenheit. In der indischen Bhakti-Tradition lassen sich sehr viele Parallelen zu den Lehren Jesu Christi finden. Hier wie dort geht es um Liebe zu Gott und um Liebe zu den Menschen (wobei Letzterer Aspekt in der christlichen Tradition freilich stärker betont wird als in der indischen). Die indische Tradition geht dabei weiter und erweitert diese Liebe auf alle Geschöpfe und macht damit Vegetarismus zu einer Notwendigkeit. Das Fremde, in diesem Fall die christliche Religion, erscheint damit nicht mehr so fremd, da man sehr viele Parallelen zu Ansichten gefunden hat, die es auch in Indien gibt. Gerade in der deutschen Indologie wurde sehr verärgert festgestellt, dass man Inklusivismus auf keinen Fall mit Toleranz gleichsetzen darf. Man würde ja, die fremden Ansichten nicht einfach nur existieren lassen, sondern sie gleich in das eigene Lehrgebäude einschließen. Dadurch wird die fremde Lehre aber nur in Teilen anerkannt – und zwar nur die Teile, in denen man das Eigene erkennt. Die Teile der fremden Lehre, die nicht zu den eigenen Ansichten passen, übersieht man toleranter Weise einfach und gefährdet auf diese Weise das eigene harmonische Weltbild in keinster Weise. Neben der christlichen Religion gibt es natürlich noch Tausende von anderen Beispielen, die diese Eigenart des indischen Mindset belegen. Sehr viele von unseren Seminarteilnehmern fragen sich zum Beispiel, wie britisch die Inder durch die circa 150 Jahre britische Herrschaft eigentlich geworden sind. Im Lichte des indischen Inklusivismus gesehen, könnte man sagen, dass das Einschließen englischer Gewohnheiten wie Gin- und Whiskytrinken, Cricket- und Polospielen sowie des englische Parlament- und Rechtssystems den indischen Mindset mit Sicherheit nicht verändert aber durchaus bereichert hat. Auch wenn die Deutschen ihre Probleme mit dem Inklusivismus haben, ist es meiner Meinung nach eher das kleinere Übel im Umgang mit dem Fremden. Ob man Inklusivismus nun mit Toleranz gleichsetzen kann, sei dahingestellt, besser als Fremdenhass ist er auf jeden Fall. Wer mit indischen Kollegen und Partnern zu tun hat, sollte diese Eigenschaft des indischen Mindset auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, denn sie sagt viel über den Umgang mit fremden Gedanken gut aus. Harmonie wird als ein höheres Gut als die Polemik angesehen. Fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht Ihnen Sascha Bosetzky und das Mindset India Team |